Von den Kap Verden in die Karibik
Warum unser Transatlantik-Start etwas holprig war, wir einen Man-Over-Board-Alarm ausgelöst haben und warum uns schon wieder das Leichtwindsegel gerissen ist, liest du in diesem Beitrag.
Mindelo, die kulturelle Hauptstadt der Kap Verden.
Schon von weitem sehen wir die grünen Hügel, die farbigen Häuser und die vielen Segelboote.
Nach 975 Seemeilen und 6 Tagen erreichen wir Mindelo, die Hauptstadt der Insel São Vicente. Wir erkunden die Stadt zu Fuss und erfreuen uns an den herzlichen Menschen, dem bunten Treiben auf dem Markt und an dem kristallklaren Wasser des Strandes. Endlich wieder Gerüche, kein Schaukeln mehr und wir können uns wieder frei bewegen!
Meuterei!
Wir müssen nochmals einkaufen. Beim ersten Einkauf in Las Palmas haben wir für alle Lebensmittel die entsprechenden Mengen aufgeschrieben, aber nicht für die Frischwaren. Deshalb wurden zu wenig Früchte und Gemüse eingekauft.
Im nächsten Einkaufsladen stehen wir bei den Früchten und beim Gemüse, der Rest der Crew beim Bier. Wir wundern uns. Wurde denn der 1. und 2. Biereinkauf (Nachschub) schon leer getrunken? Scheinbar schon fast.
Da alle Essens- und Trinkausgaben von der gemeinsamen Bordkasse bezahlt werden, sollen wir uns zum dritten Mal an den mehreren hundert Euro beteiligen, von welchen ich nichts und Luca wenig trinken wird. Ich frage schüchtern nach, ob dieser Einkauf denn wieder durch alle geteilt werden soll, oder ob diesmal vielleicht nur der Teil der Crew bezahlt, der das Bier auch trinkt.
Damit löse ich eine Eskalation aus. Zurück auf dem Boot werden wir zur Schnecke gemacht. Es sei ein Unding, das Prinzip der Bordkasse anzuzweifeln. Schon im Laden wurde ich von Luca und einem anderen Crewmitglied unterstützt. Denn vier aus der Crew trinken auf der Überfahrt wenig bis gar kein Bier (Luca & Vivi sind da vertreten), die anderen vier Personen jeden Tag 3-4 Dosen.
Nach einer lauten und emotionalen Diskussion wird uns schlussendlich dieser dritte Bierkauf nicht in Rechnung gestellt. Für uns stimmt es jetzt, jedoch war die Art der Kommunikation extrem unangenehm. Doch wenn jetzt ein Schlussstrich gezogen werden kann, ist die Sache für uns abgehakt.
Leider werden wir am nächsten Tag komplett ignoriert, unser "guten Morgen" versandet und kein Blickkontakt findet statt. Die Stimmung ist auf dem Nullpunkt. Und nach einer erneuten Machtdemonstration überlegen wir uns, das Boot zu verlassen. Doch dies ist nur mit grossen Umständen möglich, da in Mindelo nur einreisen darf, wer die Ausreise belegen kann. Da wir aber weder einen Ausreiseflug noch ein anderes Boot in petto haben, geht das nicht.
Also bleiben wir. Nun werden acht Leute auf engstem Raum für die nächsten 14 Tage eingepfercht, die nicht alle gut miteinander auskommen. Es wird spannend.
Alltag während der Passage
Unser Alltag ist vom Wachplan abhängig. Wir haben immer 2h Wache und dann 12h frei. Es ist ein entspannter Rhythmus und da wir alle zu anderen Zeiten schlafen und essen, können wir uns tatsächlich gut aus dem Weg gehen.
Wir frühstücken dann meist zu viert, spielen Gesellschaftsspiele, lesen und hören Podcasts, üben Ukulele oder schauen einfach auf das blaue Wasser hinaus. Einziger wirklicher Berührungspunkt ist das gemeinsame Abendessen. Es wird reihum gekocht, jede Koje ist daher alle 4 Tage dran. Wir kochen unter anderem Älplermagrone, Poulet süss-sauer, Enchiladas, Spaghetti Carbonara, etc.
Ab und zu sirrt die Angelrute. Dann ist entweder ein Fisch am Haken oder Seegras. Einmal läuft die Schnur besonders weit aus - Luca kurbelt und kurbelt, bis plötzlich die gelben Schuppen einer Goldmakrele sichtbar werden! Mjam, war die lecker!
Die Nachtwachen sind wunderbar. Der Sternenhimmel ist unglaublich weit und die Milchstrasse sieht man selten so klar, wie mitten auf dem Atlantik. Logisch, so ohne Lichtverschmutzung, Smog und Abgas. Die Sonnenuntergänge sind teilweise spektakulär, häufig aber verschwindet die Sonne einfach hinter einer Wolkenbank am Horizont. Den berühmt-berüchtigten 'green flash' haben wir bis jetzt nie gesehen.
M.O.B.
Eine der grössten Gefahren beim Langstreckensegeln ist, über Bord zu gehen. Wenn das während deiner Nachtwache passiert, merkt das im schlimmsten Fall für 2h niemand. Bis dann bist du meilenweit weg, im dunkeln Wasser, ganz alleine.
Um dies vorzubeugen gibt es sogenannte M.O.B.-Armbänder, welche man am Handgelenkt trägt. M.O.B. steht für man-over-board. Wenn der Knopf gedrückt wird oder der Funkkontakt zum Boot abreisst, wird ein akustisches Signal ausgelöst.
Als Luca im Schneidersitz mitten in der Nacht oben auf der Brücke sitzt, geht plötzlich sein Armband los. Er hat nicht bemerkt, wie er den Knopf berührt hat. Der Skipper rennt an und sieht erleichtert, dass Luca noch da ist. Zum Glück nur ein falscher Alarm!
Zwei Stunden später stehe ich oben auf der Brücke und trage dasselbe Armband. Plötzlich blinkt es von meinem Handgelenk und ein Alarm ertönt. Der Skipper rennt erneut an. Ich bin verdutzt. Habe ich wirklich ohne es zu merken, den Knopf gedrückt?
Später stellt sich heraus, dass bei diesem Armband ein Wackelkontakt besteht und schon bei der leisesten Berührung ein Alarm ausgelöst werden kann. Von da an tragen wir nur noch das andere Armband!
1. Advent und Halbzeit
Lustigerweise fallen die beiden Ereignisse genau auf denselben Tag.
Nach 1'070 Seemeilen feiern wir 'Bergfest' oder auch 'half-way-day'. Der Skipper öffnet eine spezielle Flasche Rum, wir stossen an und vergessen auch nicht, Neptun zu ehren. Auf eine weiterhin erfolgreiche Überfahrt mit wenig Hindernissen!
Am Abend essen wir Lebkuchenherzen und trinken einen Weihnachts-Drink. Sogar ein erstes Kerzli wird angezündet.
Am 6. Dezember feiern wir mit dem traditionellen Berner Lebkuchen (Brauch der Familie Büsch) Samichlaus. An die Sprüchli kann sich keiner erinnern, aber der Lebkuchen schmeckt hervorragend. In der Nachtwache überrascht mich Luca mit einem Päckchen. In Zeitungspapier eingewickelt und mit Angelschnur umschnürt liegen zwei Samichlaus-Kappen drin! Was für eine tolle Überraschung!
Segelboote und ihre Tücken
Auf einem Segelboot geht immer etwas kaputt.
Durch sorgfältige Wartung und konservatives Segeln versucht man, den Schaden möglichst gering zu halten. Doch wenn lange nichts gewartet wurde oder man etwas zu aggressiv segelt, geht schnell etwas kaputt.
Am Anfang hiess es noch, das Leichtwindsegel (der Gennaker) wird immer über Nacht eingeholt. Nach ein paar Nächten machen wir das nicht mehr, da das Boot so schön läuft. Dann hiess es, wenn der Wind auf 20 Knoten piekt, muss der Gennaker sofort runter. Ein paar Tage später heisst es, wenn der Wind konstant auf 20kn ist und am Schluss wird die Grenze sogar noch auf 24kn erhöht!
Nun ja, ein Leichtwindsegel kann schon bis zu 18kn aushalten, aber dies wird eher bei einer Regatta so gefahren und nur über kurze Zeit. Für unseren Gennaker war die Belastung dann plötzlich zu viel. Ein kleiner Squall (dunkle Wolken mit plötzlichem, heftigem Windanstieg) kam auf, eine Leine verhedderte sich und der Gennaker konnte nicht schnell genug geborgen werden. Er riss einmal komplett durch. Schade, so sind wir die nächsten Tage viel langsamer unterwegs! Dafür ist das mit dem Schlafen jetzt überall möglich ;)
Ankunft & Ausblick
Nach 14 Tagen und etwas mehr als 2'000 Seemeilen steht die Ankunft in Martinique kurz bevor. Luca hat von 4:00 - 06:00 Wache. Als er aufsteht, kann man schon die dunkle Küstenlinie mit vereinzelt hellen Lichtern erkennen.
Es riecht wieder nach Pflanzen und feuchter Erde, die Luft fühlt sich wärmer an - die Vorfreude ist riesig!
Als ich um 5:50 Uhr meine Wache antreten will, steht schon fast die gesamte Crew an Deck. Wir fahren die letzte Meile unter Motor, die Bucht von Sainte Anne ist voller Segelschiffe, unsere Augen können sich kaum an den neuen Reizen sattsehen. Wie schön leuchten die grünen Hügel und die farbigen Häuser im Vordergrund!
Der Anker ist gesetzt, nun wird gefeiert! Morgens um 6:15 Uhr stossen wir mit einem Gläsli Rum auf unsere Ankunft in der Karibik an!
Seit Las Palmas auf Gran Canaria sind wir 3'114 Seemeilen gesegelt, haben 12 L Fruchtsaft getrunken, sind unzählige Male mitten in der Nacht für unsere Nachtwache aufgestanden, haben ein Segel geschlissen, viele Bücher gelesen und wurden immer wieder von Delfinen begleitet.
Wir sind nun knappe 5 Monate unterwegs, entweder als Mitsegler oder in Airbnbs. Nun ist es an der Zeit, ein eigenes Zuhause zu finden. Ob das schwimmen oder fahren kann, ist noch ungewiss. Wir halten euch aber wie immer, auf dem Laufenden... :-)



Kommentar hinzufügen
Kommentare
Gugus Ihr Abenteurer🫶
Wir wünschen Euch frohe Festtage und tollen Rutsch ins Neue Jahr!🍾herzlichst Anita & Franz
Liese immer sehr gern oie Blog, sehr unterhaltsam und ehrlich:) wünsched oi viel erfolg bim finde vo oiem eigene dihei und en guete Rutsch is neue jahr. Freumi imene neue blog den zlese was wieter passiert isch;)
Mike und Familie
Hallo ihr zwei Wagemutigen!!
Herzliche Gratulation zur geglückten Überfahrt. Echt toll, habt ihr das geschafft!
Von Herzen schöne und vergnügliche Feiertage und viel Glück bei der Suche nach einer eigenen Bleibe.
Herzliche Grüsse hanspi
Mit Spannung verfolge ich Eure Reise und bin natürlich etwas neidisch. Selber war ich kürzlich für ein paar Wochen alleine in Neuseeland unterwegs, was auch spannend war. Ich wünsche Euch wunderschöne Weihnachten da unten im grünen. Hier hat es wieder mal heftig geschneit und ab 600 Metern hats ganz schönen Schnee. In Luzern leider nur noch Pflotsch. Machts weiterhin gut und liebi Grüess Barbara (UniLu)