Per Anhalter nach Saint Tropez

Veröffentlicht am 11. September 2024 um 11:55

Nawal - 1. Kapitel

Wer wissen will, warum Mooringbojen nun auf Lucas ‚ned-geil‘-Liste stehen, was ein klappriger Fiat 500 in St. Tropez zu suchen hat und warum wir einmal von unseren Bootskollegen nicht abgeholt wurden, darf gerne die folgenden Zeilen lesen…

Wieder einmal eine Anreise

Leichten Gemüts reisen wir in Martigues ab. Wir haben ja schliesslich einen zweiten Rollkoffer gekauft und die Horizon Marine liegt nur 20min entfernt, da kann ja wohl nichts schief gehen.
Nach einem verpassten Anschluss, zu langem Gehen in sengender Hitze und zu wenig Essen kommen wir 2,5h später an der Marina an. Laune auf dem Nullpunkt, Geduld auch. Wir wissen, dass Torsten und Till (die beiden Deutschen, mit denen wir das Boot teilen) erst abends um 18:00 Uhr ankommen und wir somit erst dann aufs Boot können.

Nun heisst es also warten. Wir machen uns auf den Weg, etwas Essbares zu finden. Doch das Dorf ist wie ausgestorben und wo laut Google Maps ein Laden sein sollte, finden wir Wohnhäuser vor.
Wieder zurück an der Marina treffen wir auf Paul, den Besitzer der Marina. Er plaudert vergnügt mit uns und irgendeinmal fragt er aus dem Nichts, ob wir schon gegessen haben. Wir verneinen und er schenkt uns Pasta mit Tomatensauce – so himmlisch hat Fertigsauce noch nie geschmeckt!

Nawal, eine Oceanis Clipper 423

Der Name Nawal bedeutet ‚Geschenk, erfüllter Wunsch‘ und selten hat ein Bootsname so gepasst. Sie ist gepflegt, aufgeräumt, allgemein in wunderbarem Zustand (also ganz anders als Samira) und wir haben uns schnell wohnlich eingerichtet.

Die erste Nacht verbringen wir in der Horizon Marine, da starker Mistral angekündigt war. Am nächsten Tag legen wir ab und setzen Kurs auf die Hebebrücke, die den Étang de Berre mit dem Galliffet-Kanal verbindet. Pünktlich um 14:05 Uhr heben sich die schweren Brückenelemente und geben den Weg frei. Wir passieren den Kanal und eine halbe Stunde später befinden wir uns wieder im Mittelmeer – yey!

Ile de Port-Cros

„Uuuh, hesch sie? » « Nonig ganz, zieh no betz meh!» «Aaarghh!»
Etwa so klingt es, wenn man eine Mooringboje mit einem kleinen Bootshaken fassen muss und dort dann zwei Leinen anbringen sollte, um das Schiff an Ort und Stelle zu halten. Doch das Manöver klappte beim ersten Mal, mit einer knapp nicht ausgerenkten Schulter.
Wir befinden uns im Nationalpark Port-Cros, der die Inseln Porquerolles und Port-Cros umfasst. Er ist der erste Nationalpark Europas, der terrestrische und maritime Zonen vereint. Rauchen oder Hunde mitbringen ist strengstens verboten und wer an einem anderen als der 3 zugelassenen Strände badet, dem drohen hohe Geldstrafen.

Als wir fröhlich von Bucht zu Bucht schnorcheln, wissen wir aber noch nichts davon. Wir bewundern das glasklare Wasser, das saftig grüne Seegras und die roten Seesterne, die in der Sonne leuchten. Als uns zu kalt wird, klettern wir an Land und erkunden zu Fuss weiter. Der Trampelpfad führt durch knorrig gewachsene Steineichen und Standkiefern, es ist wunderschön.
Leider müssen wir aber um 18:00 Uhr zurück sein, damit wir die Mooringboje für die Übernachtungsboote freigeben können.

Wasserknappheit und Dinghy-Desaster

Da wir uns auf Nawal am Ende eines Badetages mit Frischwasser abduschen dürfen, ist der Wassertank all 5-6 Tage leer. So müssen wir nun zum ersten Mal Wasser tanken. Wir suchen uns den Port de Saint Pierre auf Hyères aus.

Die Fender (grosse Plastik-Stossdämpfer) an der Steuerbordseite angebracht, steuert Torsten auf den Versorgungssteg zu. Doch plötzlich schneidet uns (oder eher wir beinahe ihr -> Vortrittsregeln auf See!) eine Fähre den Weg ab. Wir drehen bei und Nawal steht plötzlich im grössten Boots-Verkehrsgetümmel, das wir je gesehen haben. Gerade jetzt muss jedes Motorboot möglichst schnell aus dem Hafen raus oder rein, ein Touri-Boot will ebenfalls anlegen und circa jeder Skipper würde in so einem Moment in Panik ausbrechen. Nicht so Torsten. Er bleibt ruhig, weicht mit geschickten Manövern, die uns beinahe das Herz stehen lassen, aus und findet genau den richtigen Zeitpunkt, um anzulegen. Bienvenue à Hyères!

Beim Tanken nutzen wir die Gelegenheit, Nawal etwas vom Salzwasser und Dreck zu befreien. Nach etwa 10min kommt eine Angestellte und meint, wir sollen sofort das Wasser stoppen, da in Frankreich enorme Wasserknappheit herrscht!
Uii, mit schlechtem Gewissen stellen wir sofort ab und später am Tag sehen wir Wasserlöschflugzeuge, die nahe Waldbrände löschen müssen, da das Land ausgedörrt ist.

Luca und ich beschliessen, Hyères zu Fuss zu erkundigen. Wir schlendern durchs Städtchen, essen meine geliebte ‘Tarte au Citron Meringue’ und geniessen die Zeit zu zweit. Mit ein paar Einkäufen stehen wir später am Steg, wo uns Torsten abholen sollte. Er taucht und taucht nicht auf. Dinghy-Probleme, kriegen wir per WhatsApp als Erklärung. Oh nein, holen uns die Boot-Probleme nun doch wieder ein? Luca meint sofort, es wäre die Kupplung des Motors. Die Übertragung an den Propeller ist zu hart, der Leerlauf ist viel zu hoch und so nimmt der Mitnehmerstift Schaden bei der Kraftübertragung. Es hilft nichts, Nawal muss nochmals an den Versorgungssteg anlegen. Während wir warten, sehen wir ein Happy-Hour-Schild an einer Bar in der Nähe. Zufall oder ein Wink des Schicksals? ;-) Die Mojitos sind guuuuut und wir sind beinahe enttäuscht, als die andern beiden schreiben, sie wären nun ready, um uns aufzuladen.

Für 50€ nach St. Tropez?

Wir ankern in einer Bucht namens Pampelonne, südlich von St. Tropez. Wir sind fast das einzige Segelboot, neben uns liegen etwa 5 Luxusjachten ab 60m Länge. Wie das Leben mit so viel Luxus wohl ist? Wir finden, wohl nicht besser. Wir sehen die reichen Leute nie schnorcheln oder am Strand entlang spazieren, sie verlassen ihre schwimmenden Festungen selten bis gar nicht. Was sie wohl den ganzen Tag so machen? Arbeiten, um das viele Geld zu vermehren?

Wir beschliessen, trotz unglaublicher Hitze (40 Grad) und mässigem ÖV-Anschluss, unser Glück zu versuchen und irgendwie nach St. Tropez zu kommen. Torsten bringt uns mit dem Dinghy, welches vorübergehend einen neuen Mitnehmerstift und Propeller hat, an Land und wir enden auf einem Parkplatz. Dort fahren in regelmässigen Abständen Bentleys, Ferraris und Porsches vor, um Leute auszuspucken und dann wieder nach St. Tropez zurückzufahren.
Auch Taxis und Uber fahren vor. Wir checken die UberApp – 28€ für eine 10min Strecke. Nein danke.
Wir klopfen an eine getönte Fensterscheibe, ein Mann in schickem Anzug lässt die Scheibe runter und erklärt uns, mit seinem Taxi kommen wir für nur 50€ direkt ins Zentrum. Also auch keine Option für uns.

Wir marschieren los, in ca. 30min sollten wir ja eine Bushaltestelle erreichen. Nach 5min Fussmarsch läuft der Schweiss aus allen Poren, wir gehen nur im Schneckentempo und es wird knapp, den einzigen Bus zu erwischen, der in den nächsten Stunden fährt. Ach ver*****!

Ich komme auf die Idee, es per Anhalter zu versuchen. Mit der internationalen Geste ‘Daumen hoch’ stehen wir an den Strassenrand und die teuren Autos rasen nur so an uns vorbei. Luca zweifelt, ob man in Frankreich diese Geste überhaupt kennt. Wir warten nun schon seit 15min auf eine Mitfahrgelegenheit.
Plötzlich hält ein klappriger Fiat 500, eine junge blonde Frau öffnet die Beifahrertür und meint im breitesten australischen Akzent: «hop in!»
Wir erfahren ihre Lebensgeschichte: Sie ist Klangtherapeutin und Pilates-teacher, wohnt seit 4 Jahren in Holland und verbringt ihren Sommer an der Cote d’Azur, wo sie versucht «the fu**ing rich people» zu heilen. Während sie erzählt, flucht sie ununterbrochen über die anderen Autofahrer*innen und weicht mit quietschenden Reifen und fraglichen Überholmanöver diesen «bastards» aus. Wir können nur noch staunen.

In St. Tropez haben wir viele deutsche Touristen und mässig vorteilhaft operierte Leute angetroffen. Die engen Gassen sind identisch, wie die in anderen französischen Küstendörfer, die Eisdielen sind teurer und die Boutiquen unbezahlbar.
Nach einer fantastischen Quiche mit Spinat und Ziegenkäse sind wir am Busbahnhof angelangt und erwischen per Zufall gerade den letzten Bus, der zu uns zurück zum Strand fährt. Was für einen Tag!

Ausblick

Da wir auf Nawal so viel erlebt haben und noch einige gute Geschichten entstanden sind, teilen wir die Zeit auf ihr in 2 Kapitel auf.
Danke dir für's Lesen und Mitfiebern & ganz e liebe Gruess! :-)


Kommentar hinzufügen

Kommentare

Katrin
Vor 6 Monate

Riesiges Kompliment für die tollen Geschichten und Bilder. Ich freue mich immer sehr, wieder von euch zu lesen. Sehr gut und sehr humorvoll geschrieben. Danke das ihr "uns" an eurer Geschichte teilnehmen lasst. Herzliche Grüsse Katrin und Tobi